Klaus Johannes Thies

Aktuell

Kurze Texte

FRAU ERDMANN, JA

So sauber und wie vorher nie benutzt
Das alles kann man sehen,
man muss nur in die Bankfiliale der Commerzbank gehen
da kann man jetzt Frau Erdmann sehen
Frau Erdmann und ihr weißer Faltenrock
Und hohe Schuhe, richtig hohe Schuhe trägt sie auch
Von Montag bis zum Donnerstag
Am Wochenende sehr wahrscheinlich auch
Süchtig sind sie, richtig süchtig, jeden Tag nach ihr

IM WARTEZIMMER

Im Wartezimmer, hinten in der Ecke, sitze ich, unauffällig, niemand weiß es, dass ich Torwart bin, der Erste in der Schlange, warte, dass ich aufgerufen werde, alle wollen doch das Gleiche, was ich will. Am liebsten würde ich es allen zeigen, auf diesem Foto sieht man, wie ich einen Unhaltbaren halte, der letzte schöne, warme Tag im Jahr, fast immer im September, der elfte ist`s, ich halt‘ ihn sogar fast in meinen Händen. Herr Hitzfeld streicht mir übern Kopf und wiederholt den Vorgang von Herrn Klopp, der ebenfalls ihn streichelt, und also stimmt es doch: ich sitz im Wartezimmer und träume jetzt davon, Frau Erdmann säße neben mir, Frau Erdmann, die gern hohe Schuhe trägt und meine Hände wollen Cello spielen und wieder etwas Neues ausprobieren. Ich stehe nämlich hinter ihr, im Wartezimmer, hinten in der Ecke stehe ich und alle wollen doch das Gleiche, und wir beginnen uns jetzt zu umarmen, als wäre hier ein Tor gefallen, im Wartezimmer sozusagen.

DER MERCEDES

Der Mercedes, der, in dem ich saß, war so klein,
dass ich ihn mit nach Hause in die Wohnung nehmen konnte.
Er blieb dann lange auf dem Sofa sitzen, auf der linken Seite
mit den schicken Reifen und den überlangen Beinen,
die er immer trägt, wenn er was
Besonderes erleben möchte.

Ich aß Apfelkuchen

Ich aß Apfelkuchen. Das würde mir schon reichen.
Apfelkuchen.
Ach, wie ist das herrlich.
Ich weiß noch gar nicht, wie es weitergehen wird.
Jetzt.
Bei mir ist es manchmal wirklich schön.
Bleib doch noch ein bisschen, sage ich zu ihm.
Der ist jetzt in mir drin.
Ich spüre ihn.
Hoffentlich ist ihm nichts zugestoßen.

JAPANISCHER TEE

Gestern, wie immer am Montag, war ich telefonisch mit ihr verbunden, bin mit ihr durch ihre Mittagspause gegangen, habe ihre Schritte gehört, ihre rotlackierten Fingernägel gesehen, mit ihr in ihren Lieblingsladen gegangen, da wo es ihren japanischen Tee gibt und das Schwarz-Weiß-Gebäck. Freundschaftlicher Austausch von Worten; Küsse und Umarmungen nimmt das Gerät nicht entgegen, auch nichts von Strindberg oder Ibsen. Der japanische Tee wird leider viel zu schnell kalt, darf nur siebzig Sekunden ziehen, erklärt sie mir. Wie gerade und aufrecht sie dabei durch die Innenstadt von München geht. Schon wieder hat sie ihre Mittagspause um vier Minuten überzogen. Jetzt höre ich ihre Schritte im Treppenhaus. Sie trägt ihre Winterstiefel. Einer muß das ja feststellen, wenn es schon sonst keiner bemerkt.

Wie diese Kommode zum Beispiel

Wie schön es wäre, wenn alles doch ein bißchen länger stehen bleiben würde, wie diese Kommode zum Beispiel, die nur die Stunden zählt, bis man sie zu einer Begegnung mit dem Staublappen verführt, der sie nur kurz mal berührt. Mehr will er nicht von ihr. Eine alte Urlaubskarte, direkt an der Wand. Ein Ölbild darüber, das wir sehr lange nicht mehr angesehen haben. Morgen ist der neunzehnte August. Nicht vordrängeln bitte! Die Luft unverdorben, sogar in der Kommode, kein Obdachloser. Ein neuer Fingerabdruck darauf. Wenn ich das sage, stimmt es so. Nichts ist erfunden. Ich sitze am Schreibtisch, ziehe eine Schublade nach der anderen auf und denke darüber nach, wie es ist, wenn man von außen dabei betrachtet wird, wie diese Kommode zum Beispiel.

Ceramica Cleopatra

Ich trete in der nächsten Saison Ceramica Cleopatra bei oder der katholischen Kirche; ich kann mich noch nicht entscheiden. Oder ich gehe nach Lambarene zu Albert Schweitzer, was Gutes tun für die kranken Afrikaner, und abends streichele ich leise ein Mädchen; will einfach irgendwie dankbar sein, wenn mich mal ein Brief aus Deutschland erreicht. Gestern habe ich allein auf der Terrasse gesessen, fühlte eine Lastkraftwageneinsamkeit, die mich durchquerte, vom Kilometerrausch befallen, die Landschaft zweifelsohne ansehbar bis Sansibar. Wie schnell die Zeit dabei vergeht. Eben noch hast du den Erwachsenen zugehört, die da am Tisch saßen, die zu Besuch gekommen waren, zu Kaffee und Kuchen, und sehr freundlich miteinander sprachen. Du hast ihnen dabei zugesehen und dieses Bild hat sich tief eingeprägt. Jetzt sehe ich das alles schon von hinten. Ich geh mit kleinen, unsichtbaren Schritten weiter und stell mir vor, sie kämen noch mal wieder aus der Wand. Sie stecken noch darin. Sie schlummern.

DIE KELLNERIN RÄUMT DEN TISCH WIEDER AB

Wenn ich jetzt aufhören zu schreiben würde
So leicht dahin gesagt
Ich könnte plötzlich glücklich sein
Es könnte doch auch funktionieren
Wenn ich es übe
Erst einmal ausprobiere
Die Kellnerin räumt den Tisch wieder ab
mit ihrer Wärme, ich spüre sie fast

DIE KELLNERIN RÄUMTE DEN TISCH WIEDER AB

Die Kellnerin räumte den Tisch wieder ab. Und gleich schien es, als würde man auf hellere Gegenden sehen: Baugrundstücke, Bernsteinküsten, Tischdecken „mit hoher Aufenthaltsqualität“. Unerreichbares von hier aus gesehen. Nur das Trinkgeld könnte sie jetzt wirklich weiterbringen. Ich musste an Russland denken, an Heinrich Bölls ‚Gruppenbild mit Dame‘. Auch mit Irland konnte man ihr jetzt nicht kommen. Sie würde lieber draußen eine Zigarette rauchen. „Zunächst aber erstmal ein strahlender Morgen“, den wünschte sie mir jetzt, als hätte sie auf ihre Beine gesehen und aus der Ferne winkte sie mit einem großen weißen Tuch, sah aus wie ihre Schürze, in die man sehr gut schluchzen konnte.

DER 55. BREMER LITERATURPREIS

Ich wollte das alte Jahr noch einmal durchlaufen lassen, im Schnellgang sozusagen. Aber heute kam die Einladung zur Verleihung des 55. Bremer Literaturpreises. Wie alle Jahre zuvor, ist er an mir vorbeigegangen. Ich grüßte ihn noch flüchtig von hinten. Wie stolze Fregatten ziehen die Preisträger an mir vorüber… als hätte die eine Welt, in der sie verkehrten und Preise kassierten, und ich in der anderen, nichts miteinander zu tun, als könnten wir uns gar nicht kreuzen und zuwinken, oder uns beschießen mit den alten Schiffskanonen, die von der Decke des Bremer Rathauses herabhängen. So jung ist das neue Jahr, und ich dachte schon wieder, wenn auch nur versehentlich, ans Sterben. Eines Tages würde ich dazugehören, mit oder ohne Förderpreis. Den müsste ich dalassen, in einer Glasvitrine, am Abend auch beleuchtet, selbst wenn ich mich dagegen sträube. Mit solcherart Gedankensorte im Kopf konnte ich natürlich nicht schlafen – wollte ich es nicht riskieren. Als könnte man davon auch sterben. Lieber wollte ich jetzt auch noch die Bewachung von mir selber übernehmen, wenn auch ohne Preise. Wobei die Bremer Literaturauszeichnung, ausgerechnet sie, immer wieder meinen Händen entglitt. Als hätte ich sie viel zu intensiv mit Seife eingeschmiert. Sogar der Bürgermeister wollte mir mit Hilfe seiner weichen Hände eine kleine Trosturkunde überreichen. Um mich darauf vorzubereiten, werde ich mich noch heute rasieren und neben Frau Erdmann Platz nehmen und ihren Knien zusehen. Die schimmern und leuchten so schön in der ersten Reihe und sehen aus, als könnten sie nie sterben, im Gegensatz zu mir.